Gestern haben wir eine ruhige Wanderung unternommen. Nicht nur deswegen, weil uns der Aufstieg zur Brunnsteinspitze gefordert hat. Ich hatte auch das Gefühl, dass uns die Tour zur Großen Arnspitze einiges abverlangen würde. Im Karwendel hat man eigentlich nur die Wahl zwischen sehr leichten und sehr anstrengenden Touren, denn es gibt kaum Bergbahnen, die einem den Weg nach ganz oben erleichtern.
Wir brechen wieder 8.45 Uhr auf. Der Zug nach Scharnitz hat irgendwelche Probleme… wir weichen kurzentschlossen auf den Linienbus aus, der 9.03 Uhr abfährt. Zehn Minuten später sind wir in Scharnitz. Am nördlichen Ortsende folgen wir dem Weg zur Porta Claudia, einer Burgruine oberhalb des Ortes. Hier geht es auch entlang zur Großen Arnspitze. Ich hatte die Porta Claudia für eine römische Anlage gehalten, denn die Römer haben die Alpen zwischen Mittenwald und Partenkirchen durchquert. Aber nein: die Festung entstand später. Die Ruinen sind beeindruckend und wir erreichen bald die Obere Festung. Hier stellen wir fest, dass wir wieder bergab gehen müssen, um den Weg zur Großen Arnspitze zu treffen. Ein Stück gehen wir über einen wegen Forstarbeiten gesperrten Steig: Glücklicherweise wird gerade nicht gearbeitet und wir treffen bald den markierten Wanderweg zur Arnspitze.
Auf einem Forstweg gehen wir ein ganzes Stück bergauf; dann wird der Weg schmaler und steiler und wir achten gut auf die Markierungen, da dieser Weg wenig begangen wird. Aber irgendwann befinden wir uns an einem ziemlich steilen Hang mitten im Wald und sehen keine Markierung mehr. Ringsum befinden sich mehrere umgestürzte Bäume: wir nehmen an, dass ein, zwei Markierungen verloren gingen. Das genügt schon, um den Weg zu verfehlen…
Christian schaut immer wieder auf die gespeicherte Wanderkarte und versichert, dass wir uns nur wenige Meter vom Wanderweg entfernt haben. Tatsächlich sehen wir keinen Weg mehr, nur vereinzelte Trittspuren, und das Gelände wird zunehmend unzugänglich. Was bleibt uns übrig, als uns irgendwie durchzuschlagen (hoffentlich zum Wanderweg), aber zunächst einfach dort, wo das Gelände zu begehen ist? Wir hangeln uns von Steinen im Hang zu Baumwurzeln, prüfen deren Halt, graben uns Griffe frei. Zeitweise wird mir sehr mulmig, weil ich spüre, dass mich am steilen Hang die Kräfte verlassen.
Plötzlich sieht Christian eine Gämse vor sich und macht mich darauf aufmerksam. Ich antworte, dass mir das gerade ziemlich egal ist, weil ich Mühe habe, mich überhaupt am Hang festzuhalten. Gämse ungewöhnlich nahe heißt wohl: Weg verfehlt! Weiter oben ist das Gelände flacher und man kann normal aufsteigen. Wir sehen schon die Arnspitze und haben das Gefühl, weiter nach rechts gehen zu müssen. Wieder treffen wir auf Fußspuren und gelangen auf einen locker bewachsenen Hang. Weiter oben sehen wir Felsen: dort müsste man hinauf kommen.
Über einen nur undeutlichen Pfad steigen wir auf, orientieren uns nur nach Gefühl. Plötzlich muss ich jubeln, denn ich stoße auf den markierten Wanderweg! Erleichtert folgen wir ihm und schwören, die Markierungen nie mehr zu verlieren. Es dauert noch eine ganze Weile, bis wir an der Arnspitzhütte, einer Selbstversorger-Notunterkunft, ankommen. Unser Ziel, die Große Arnspitze, können wir schon gut sehen. Hier machen wir eine kurze Essens- und Trinkpause. Den Weg von Scharnitz aus möchte ich derzeit nicht empfehlen, es sei denn, man kennt ihn schon. Aber wir sind stolz, dennoch „durchgekommen“ zu sein!
Von der Arnspitzhütte aus gehen wir weiter Richtung Gipfel: zunächst vom Sattel aus in Serpentinen bergauf. Dann wird es abschnittsweise steiler und wir müssen die Hände zu Hilfe nehmen. Ob wir uns wieder herunter trauen werden? Ganz sicher, mit Ruhe und Vorsicht werden wir das packen. Die Rinne, in der wir laut Wanderführer aufsteigen müssen, ist zeitweise recht steil. Gut, dass es überall griffige Felsen gibt, wo man sich halten kann! Endlich fehlen uns nur noch wenige Meter zum Gipfel und diese sind recht gut zu bewältigen. Immer den Markierungen folgen, dann klappt das! Kurz nach halb drei stehen wir oben (2.196 m). Ich mache nur ein Foto von uns beiden, dann steigen wir wieder ab. Das Gipfelkreuz, zu dem man abklettern und wieder aufsteigen müsste, sparen wir uns. Wir haben es geschafft, nur das zählt.
Ein Bergsteiger kommt uns unterhalb des Gipfels entgegen. Er wird uns bald wieder einholen… Kurz nach drei Uhr sind wir wieder am Sattel angelangt. Der andere Bergsteiger ruft uns zu: nun schnell nach unten vor dem Regen! Wir nehmen das noch gar nicht richtig ernst, freuen wir uns doch über den leichteren Abstieg nach Mittenwald. Dieser „leichte“ Abstieg unterhalb der Achterköpfe, über Riedberg und Riedbergscharte hat es doch in sich – und ist recht lang. Unterhalb der Achterköpfe gibt es mehrere wirklich unwegsame und ausgesetzte Stellen. Während wir sie passieren, sehen wir den Nebel, der vom Tal aus höher steigt. Kaum sind wir an den gefährlichen Stellen vorbei, befinden wir uns im Nebel und der Wind wird stürmisch.
Der Weg nach Mittenwald ist lang, aber sehr gut markiert: selbst im Nebel findet man den Steig. Wir sind froh, die Latschen zu erreichen, denn es wird immer unfreundlicher. Dass ein Wetterumschwung schneller kommt, sollte man nicht ausschließen… Bei schönem Wetter ist dieser Wegabschnitt sicher wunderschön. Ist es aber nebelig und der Wind reißt an den Latschen, will man nur noch hinunter.
Wir gehen noch mehrere Stunden im Wald bergab. Zum Glück wird es noch nicht so schnell dunkel, aber wir beeilen uns trotzdem, machen nur noch kurze Trinkpausen und gehen, so gut und so schnell es geht Richtung Mittenwald. Im Wald gibt es immer wieder auch steile, unwegsame Abschnitte, die man bei Dunkelheit nicht unbedingt bewältigen möchte! Endlich gelangen wir unterhalb des Gasthofs „Gletscherschliff“ ins Tal. Diesen Weg kennen wir schon. Es hat nun kräftig zu regnen begonnen. Aber die letzten Kilometer zur Ferienwohnung schaffen wir auch noch, zumal der Weg nun leicht zu gehen ist. Diese Tour war grenzwertig. Wir haben das Gefühl, uns nun als Bergwanderer für anspruchsvolle Touren qualifiziert zu haben. Und wir hatten Glück, es noch gut ins Tal geschafft zu haben! Ganz besonders stolz sind wir darauf, den langen Querfeldein-Marsch geschafft zu haben. Nur mit dieser Erfahrung haben wir uns überhaupt an den Gipfel der Arnspitze getraut.
Es war eine lange, anstrengende Bergtour: 19,8 Kilometer waren wir unterwegs bei 1.800 Höhenmetern Anstieg und 1.795 Höhenmetern Abstieg. Insgesamt waren wir ca. 10 Stunden unterwegs mit nur wenigen Verpflegungspausen. Was bin ich froh, durch den Ausdauersport ein bisschen trainiert zu sein! Männer sind doch generell etwas härter im Nehmen. Aber wir sind gut wieder in Mittenwald angekommen: so muss es sein! (Oberes Foto: Blick zur Großen Arnspitze vom Leitersteig; Unteres Foto: Wir am Gipfel :-))