Wir nahmen den Bus von Schruns
Bahnhof aus nach Bielerhöhe – Silvretta-Stausee. Das Wetter hatte sich über
Nacht gebessert und schon vom Bahnhof Schruns aus konnte man die Zimba gut
sehen. Dieser Gipfel ist kein Wanderberg; Leute wie wir können nur ihren
Anblick bewundern. Der Bus fährt über eine Stunde hinauf in die Silvretta. Die
Busfahrerin bewies Fahrkönnen und gute Nerven auf der
Silvretta-Hochalpenstraße. Sie kümmerte sich beinahe wie eine Reiseleiterin um
die Fahrgäste. Der Bus kam gerade so um die engen Kurven, oft mussten Autos
ausweichen und sogar Kühe liefen auf der Straße. Das könnte durchaus gefährlich
werden! Die Fahrt kam mir ewig vor, aber irgendwann tauchten sie auf, die
vergletscherten Silvretta-Gipfel. Ist man dann oben am Stausee
angekommen, fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Um beispielsweise von
Schruns aus zum Kreuzjoch hinaufzusteigen, wäre man mehrere Stunden unterwegs,
aber in der Silvretta sind die Dimensionen noch etwas anders. Wir entschieden
uns für die Strecke, welche die meisten Wanderer wählten: an der Staumauer
vorbei und Richtung Radsattel, zunächst rot-weiß markiert, später blau-weiß.
Der Weg durchs Bieltal war idyllisch und faszinierend, der Anstieg zum
Radsattel wurde steil und felsig. Dennoch fand ich ihn nicht problematisch. Die
Aussicht auf die hohen, bizarren Gipfel und Gletscher wurde immer
spektakulärer, je näher wir ihnen kamen. Das Hohe Rad (2.934m), das sich
rechter Hand vor uns erhob, hatte mich gereizt, aber während wir unterwegs
waren, wusste ich, dass dieser Gipfel an diesem Tag sowohl konditionell als
auch mental für uns nicht zu bewältigen war. Der Wanderweg ist bis zur
Radschulter ausgewiesen, von dort an soll es – laut Wanderführer – nur noch
Trittspuren bis zum Gipfel geben. Und dieser Gipfelbereich ist steil und
ausgesetzt. Das ist kein Berg, den Leute wie wir einfach mal so „mitnehmen“,
auch wenn er als einer der leichtesten Silvretta-Gipfel gilt. Ein Wanderer, den
wir unterhalb des Radsattels trafen, riet uns von einer Besteigung ab: wir
sollten besser kein Risiko eingehen und über den Radsattel zur Wiesbadener
Hütte weitergehen. Wir genossen ausgiebig die wunderbare Aussicht, die sich vom
Radsattel (2.652 m) aus eröffnete: Kleiner und Großer Piz Buin standen uns
gegenüber, Dreiländerspitze, Fluchthörner, Silvrettahorn sowie weiter rechts
Seehorn und – unübersehbar – der Große Litzner. Morgen würden wir ihm noch
näher kommen! Schließlich standen wir aber doch auf einem Silvretta-Gipfel mit
Gipfelkreuz: dem Piz 6R, den man innerhalb weniger Minuten vom Radsattel aus
erreicht. Eine Schulklasse hatte - wohl während eines Ausflugs - diesen vermutlich zuvor noch namenlosen Berg nach sich benannt und ein kleines Gipfelkreuz errichtet. Wir wählten, wie fast alle Wanderer, den ausgeschilderten Winterweg
zur Wiesbadener Hütte – auch den Sommerweg hätte man gehen können. Auf der
Terrasse der Hütte konnten wir ausgiebig schlemmen und hatten dabei den
beeindruckenden Ochsentaler Gletscher und die umliegenden Gipfel direkt vor
uns. Wir konnten sehen, wie eine Gruppe von Leuten angeseilt über den
Vermuntgletscher ging, und mit dem Fernglas sahen wir Leute oben auf dem Piz
Buin. Diejenigen, die aus Richtung Vermuntpass zur Hütte kamen, waren anders
als wir ausgerüstet. Wir schauten sehnsüchtig zu den Gipfeln auf und wussten,
dass man ganz andere Voraussetzungen mitbringen muss, um sie zu besteigen. Von
der Wiesbadener Hütte aus gingen wir durchs Ochsental zurück und weiter am
anderen Ufer des Silvrettasees. Dort sahen wir den Weg ins Klostertal, von wo
aus wir im vergangenen Jahr gekommen wären, hätte unsere Silvretta-Tour wie
geplant stattfinden können. (Damals gingen wir von Klosters auf der Schweizer
Seite zur Silvretta-Hütte, geplant war, über die Rote Furka durchs Klostertal
zur Bielerhöhe zu gelangen – leider spielte das Wetter nicht mit). Nun gingen
wir über die Staumauer und von dort aus zum Madlener-Haus, wo wir über Nacht
blieben. Am Abend machten wir noch einen Spaziergang am Silvrettasee. Wo
tagsüber ständig Reisebusse ankommen und viele Wanderer unterwegs sind, ist es
abends unglaublich still. Genau diese Stimmung hatte ich erleben wollen! Unsere
Silvretta-Wanderung war 14,8 Kilometer lang, An- und Abstieg waren je 1.041
Höhenmeter, also identisch. Wir fanden sie gerade gut zu bewältigen als erste
hochalpine Tour in diesem Urlaub. Gutes Wetter ist allerdings obligatorisch, um
sie durchführen und genießen zu können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen